Wie lest ihr, wenn eine Zeitschrift oder ein Buch vor Augen habt? Ihr fangt oben Links an, geht rüber nach rechts und beginnt wieder links an der Seite. So haben wir es gelernt, danach richtet sich unser Hirn. Nicht alle natürlich, denn es gibt bekanntlich mehrere Sprachen, von denen einige von rechts nach links oder sogar von oben nach unten gelesen werden. In Deutschland aber, da lesen wir von links nach rechts und fangen dabei in der oberen linken Ecke an.

Für Websites gilt das ebenso. Dort ist es das häufig erwähnte F-Muster, welches beeinflusst wie eine Website wahrgenommen wird. Das haben Studien herausgefunden, es basiert also nicht auf einer fixen Idee, sondern auf einer Untersuchung. Bleibt die Frage, wie umfangreich diese Studie am Ende wirklich war und ob man ihr somit glauben schenken darf.

Wir haben uns typische Faustregeln, Konzepte und Designprozesse genommen, um sie auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Seid gespannt darauf, was wirklich dran ist an all den wilden Theorien.

F-Shape

Das F-Muster ist eine Lüge

Die Studie, die das F-Muster zum ersten Mal erkannte, stammt aus dem Jahr 2006. Damals wurde Eye-Tracking verwendet und das Ergebnis war, dass der Großteil Websites genau so liest wie klassische Bücher. Von links nach rechts. Mit der Besonderheit allerdings, dass, je länger der Text einer Website ausfällt, irgendwann nur noch die Zeilenanfänge begonnen werden.

Es wird also zunächst komplett gelesen, wohingegen das Interesse schnell abnimmt. Der Nutzer scannt nur noch nach interessanten Wörtern, Zeilen werden nicht mehr wahrgenommen, es entsteht das bekannte F-Muster.

Allerdings hat die Studie dabei noch andere Muster (L-Muster) erkannt und die Prüfmethode soll wohl auch nicht ganz sauber gewesen sein. Das Ding aber ist, dass die Studie von 2006 stammt und wir heute vollkommen anders gelernt haben, mit Websites zu interagieren. Da gibt es Sidebars am rechten Rand, es kann sein, dass wir auf Smartphones oder Tablets surfen, es gibt Popups, Formulare und all das verändert auch die Wahrnehmung. Genau wie es verändert, wie wir eine Website lesen.

Das klassische F-Muster mag vor Jahrzehnten daher im Groben gestimmt haben, doch heute trifft dies einfach nicht mehr zu. Zu sehr haben sich Websites und Geräte, auf denen sie konsumiert werden, zwischenzeitlich gewandelt. Eine deutsche Studie legt beispielsweise nahe, dass Smartphone-Nutzer eher im Block-Muster lesen und nicht im klassischen F-Muster.

Minimalismus hat nicht immer nur Vorteile

Auch der Minimalismus wird immer gerne genommen, um auf perfekte, einfache Websites hinzuweisen. Google ist so eine minimalistische Seite, Amazon ist ebenfalls eher rudimentär gehalten, Facebook war lange Zeit gefühlt in den 90er hängen geblieben, jedenfalls vom Design her. Es schien fast, als würden die größten Tech-Firmen bewusst auf Minimalismus und Zurückhaltung setzen. Moderne und aufwendige Designsysteme waren dort jedenfalls nicht zu sehen.

Das alles gipfelte im Flat Design, welches noch einmal fünf Schritte rückwärts machte. Schnell kam dann allerdings das Material Design von Google und das Fluent Design von Microsoft legte nach. Augenblicklich gab es dann doch wieder Ebenen, Schattierungen und weitere Elemente. Der vermeintliche Minimalismus war also schnell wieder vergessen.

Minimalismus ist auch nicht immer das Richtige, vor allem bringt er nicht nur Vorteile mit sich. Manche Zielgruppen möchten aufwendig umworben werden. Im Gaming-Bereich ist es beispielsweise nicht auszudenken, technisch veraltet oder gar minimal daherzukommen. Die Hightech Branche will nicht Lowtech Websites für ihre Kunden anbieten.

Der Verzicht kann allgemein viele Nachteile mit sich bringen. Wer Websites zu drastisch reduziert, hat auch weniger Möglichkeiten zu werben, CTAs sinnvoll zu platzieren oder das Auge des Besuchers gezielt zu steuern. Ganz zu schweigen von aufwendigen Funktionen und Animationen, die jegliche Form von Minimalismus wieder vernichten. Klickstrecken sind im Marketing aber wichtig, doch genau diese funktionieren nicht immer ideal, wenn das Design auf jegliche Spielerei verzichtet.

Der Satz »Weniger ist mehr«, ist eben gerade nicht überall korrekt. Es stimmt zwar, dass viele Websites überladen daherkommen, doch ein absoluter Verzicht ist nicht automatisch die Lösung des Problems. Minimalismus nicht der Heils­brin­ger.

F-Muster

Typographische Regeln sind keine Gesetze

Es gibt verschiedene typografische Konzepte, die heutzutage überholt erscheinen. So galt und gilt bei vielen auch aktuell noch, dass Schriften mit Serifen besser lesbar sein sollen. Serifenlose Schriften hingegen eignen sich eher für kurze Abschnitte und Texte.

Blödsinn! Längst gab es viele A/B Test, die gezeigt haben, dass gerade im Web ein Großteil eben keine Serifen mag und gerade die junge Zielgruppe hier zunehmend abgeneigt ist. Nur weil etwas viel Text aufweist, muss die Schrift demnach nicht gleich eine mit Serifen sein. Das stimmt so einfach nicht. Oft wirkt es auch nur altbacken oder unpassend. Es kommt immer auf den Einzelfall an.

Gleiches gilt für die vermeintlich perfekte Zeichenlänge und die Golden Ratio im Schriftdesign. Maximal 100 Zeichen in einer Zeile, nicht breiter als 800 Pixel, das ist oft die Faustregel, denen viele Folgen. Dabei gibt es hier eine Menge Faktoren und gestalterische Elemente, die Einfluss darauf nehmen, wie ein Text wahrgenommen wird. Solche Regeln sind demnach fehl am Platz. Alles wird zum Einzelfall. Erst recht bei Desktop, Tablet, Mobile und weiteren Versionen, je nach Auflösung und Gerät.

Als Letztes wäre da noch die Schriftgröße. Kleine Schriften würden die Conversion Rate senken, wären kaum lesbar und alle Besucher*innen würden große Schriften bevorzugen, heißt es oft. Auch das mag im Einzelfall stimmen, trifft aber nicht auf alles zu. Wir selbst haben schon A/B Tests durchgeführt, wo die konservative Schriftgröße von 14 Pixel deutlich besser ankam als eine Schrift in 16 oder 17 Pixel. Auch vom Gerät hängt es ab. Je größer die Schrift, desto weniger ist am Smartphone sofort sichtbar und die Notwendigkeit des Scrollen entsteht. Auch das mögen viele nicht.

Der Irrglauben verdrängt die Individualität

In der Überschrift haben wir es »Irrglauben im Designprozess« genannt und in gewisserweise trifft das auch zu. Es sind einzelne, oft sehr kleine Studien, die große Wellen schlagen und dann übernommen werden. Dabei sind viele Studien nicht automatisch aussagekräftig. Bei anderen sind die Methoden zweifelhaft. Fast alle basieren außerdem auf eher rudimentären Tests, denn gerade im Marketing wird zwar viel behauptet, jedoch nur wenig tatsächlich belegt. Theorie und eigene Deutung erschaffen Regeln, die fortan weitergetragen werden. Sie müssen nicht wahr sein, oft reicht es, wenn sie schlau klingen.

Wir würden es anders formulieren. Studien sind interessant, weil sie Gedanken prüfen und schauen, ob wirklich etwas dran ist. Am Ende ist gerade im Internet aber vieles eher relativ. Jede Zielgruppe und Website ist stets individuell zu betrachten. Kleinste Elemente können das Gesamtbild stark verändern. Die Zeit spielt auch eine Rolle, denn unsere Gesellschaft ist schnell geworden, entwickelt sich, konsumiert auf neuen Geräten und morgen könnte alles schon wieder ganz anders sein.

Für uns ist es daher wichtig, die Zielgruppe bestmöglich zu bedienen und zu analysieren. Es geht nicht so sehr darum, was angeblich funktioniert, sondern eher darum, was auf der eigenen Plattform Sinn ergibt. Jedes Projekt ist individuell zu sehen und Faustregeln treffen zwar oft zu, aber eben nicht immer. Genau wie das F-Muster, was theoretisch gar nicht so falschliegt, aber nun einmal nicht das einzige Muster ist und nicht mehr das, was auf allen Geräten gleichzeitig auftritt.

Der Irrglauben verdrängt dabei oft die Eigenständigkeit und das ist gefährlich. Faustregeln sind nun einmal keine Gesetze. All diese Dinge sind wie Bauernweisheiten. Sie treffen zwar hin und wieder zu, doch ganz so einfach, wie sie uns weismachen wollen, ist die Welt am Ende eben doch nicht. In diesem Sinne: Behaltet eure Individualität und euren Mut, einfach mal anders zu sein.

by A-DIGITAL one

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